Zurück zum Thema.
Vielleicht hilft es die kubanische Denk- und Handlungsweise besser zu verstehen, wenn man mal zwei Begriffe aus dem kubanischen Alltagsleben etwas genauer unter die Lupe nimmt:
‚luchar und resolver‘.
Luchar kann ganz unterschiedliche Bedeutungen haben, wird aber häufig im Sinne von „ums Überleben kämpfen“ gebraucht. Wobei die Wirklichkeit nicht so dramatisch ist, dass Kubaner tatsächlich um ihr Überleben kämpfen müssten. Ich vermute mal, der Begriff stammt aus der Zeit des periodo especial, also der Notzeit nach dem Wegfall der Hilfe sozialistischer Bruderländer nach 1990, in der es für viele Menschen in Kuba existentiell eng wurde. ‚Estoy luchando‘ bedeutet also, ich führe den täglichen Kampf mich und meine Familie satt zu bekommen, Waren zu organisieren, die es eigentlich nirgends gibt usw.
Mit ‚estoy luchando‘ beschreibt aber auch eine jinetera ihre Tätigkeit und fühlt sich, mit entwaffnendem kubanischem Selbstverständnis, überhaupt nicht als Prostituierte, wäre tödlich beleidigt
, wenn man sie puta nennen würde, obwohl das ‚luchar‘ heutzutage weniger der Finanzierung lebenswichtiger Nahrungsmittel dient, sondern eher dem Erwerb von Luxus- und Statussymbolen, Handy, modische Klamotten usw.
Resolver. Resolver un problema, resolver una situacion. Auch ein vielschichtiger Begriff. Grundsätzlich bedeutet er sowas wie ‚die Lösung für etwas finden‘. Das Wort wird oft gebraucht, um Handlungen zu beschreiben, die das Leben lebbar, den Alltag praktizierbar und erträglich machen. Dabei spielen Moral, Anstand, Ehrlichkeit usw. keine, oder allenfalls eine sehr untergeordnete Rolle. Es ging ja einst ums Überleben (wir erinnern uns an den periodo especial) und Hunger kennt bekanntlich keine Moral. Der Hunger ist zwar gegangen, die Moral kam jedoch nicht automatisch zurück.
Resolver kann Diebstahl sein, Prostitution, Schwarzhandel etc…
...oder, und da sind wir wieder beim Thema – die Heirat mit einem wohlhabenden (ausländischen) Partner.
Mehr als einmal wurde mir in Kuba folgender Satz angetragen: „necesito que alguien me ayude a resolver mi situacion“. Das Wort ‚alguien‘ könnte man auch mit ‚cualquier hombre oder mujer“ ersetzen.
Ich vermute, dass gewisse Verhaltensmuster, die während der kubanischen Notzeit (periodo especial) überlebenswichtig waren, auch heute weiterleben, teilweise an die jüngere Generation, die diese Zeit nicht mehr selbst erlebt hat, weitergegeben wurden. Auch heute ist das Leben für die meisten Kubaner ziemlich perspektivlos, man möchte viel lieber ein schickes Outfit und Devisenbier statt Revolutionsgequatsche und Pipapisse…;-)
Luchar und resolver findet heutzutage immer noch statt, wenn auch auf höherem Niveau. Heute geht es nicht mehr darum, einen halben Liter Milch nach Hause zu bringen, oder ein paar boniato (Gemüseanbauer waren übrigens begehrte Sexpartner während des P.E. erzählte mir eine cubana
), heute geht es um Gegenstände des täglichen Lebens, Kühlschränke, Fernseher, Mobiliar, um Luxusgegenstände und, nicht zuletzt um ‚La Construccion‘. Eigentlich wird jeder Yuma der/die in einer Beziehung mit einer/m Kubanerin/er steckt, über kurz oder lang mit der Erwartung konfrontiert, eine construccion zu finanzieren. Ein Bauvorhaben, das Kubaner ohne Hilfe kaum bewältigen können, oder allenfalls poco a poco über viele Jahre. Auch hier sind (ausländische) Ehepartner ähm Investoren äußerst willkommen…
So, nun reicht es aber für heute. Bevor einige wieder in Igelstellung gehen,
meine subjektiven Beobachtungen und Schlüsse sollen keinesfalls alle Kubaner in einen Topf werfen und schon gar nicht die novios und esposas der an diesem thread beteiligten Forumsmitglieder.
Ich versuche lediglich bei denen, die Kuba noch nicht so gut kennen, ein bisschen Verständnis dafür zu wecken, was in einer binationalen Beziehung auf sie zukommen kann. Wer das nicht hören will:hopelessness:, braucht meine Beiträge nicht zu lesen. Ansonsten freue ich mich über jeden, der seine eigenen subjektiven Eindrücke zu diesem Thema schildert, egal ob sie meine Eindrücke bestätigen oder widersprechen.