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«Die Amerikaner sind böse. Aber ihre Autos sind toll» – Ramon, der so alt ist wie das US-Embargo, und sein Cadillac mit Baujahr 1947 trotzen den Widrigkeiten des kubanischen Alltags
Die Kubaner sind eine Nation von Autonarren. Doch die Benzinknappheit legt das Land zusehends still. Die Reise zwischen den beiden grössten Städten Havanna und Santiago de Cuba wird da zum Abenteuer.
Der 62 Jahre alte Ramon mit seinem Cadillac, Baujahr 1947: «Kubas Autobahnen sind schlecht. Aber dem Fahrer kann man vertrauen!»
Noch bevor die Sonne in Havanna aufgeht, kaut Ramon bereits nervös auf seiner Zigarre. Die Fahrt nach Santiago de Cuba sei ein Himmelfahrtskommando, es gebe unterwegs kein Benzin, und die Carretera Central im Osten sei eine gefährliche Schlaglochpiste, hätten ihm Taxifahrer-Kollegen gesagt. Der 40-Liter-Ersatzkanister ist leer, denn «Chino» – wegen seiner Schlitzaugen nennen ihn alle «Chinese» – war gestern noch mit Touristen in Trinidad, da ging das Benzin drauf. Aber der Tank des Cadillacs ist voll, 90 Liter, das reicht für etwa 800 Kilometer. Bis Santiago de Cuba sind es 900.
Ein Bekannter meldet sich, ob wir einen Anhänger mit deutschem Bier noch schnell in Cienfuegos abliefern könnten. Er hatte einen Container Dosenbier importiert, jetzt ist die Auslieferung wegen Benzinmangel schwierig. Doch der Umweg wäre zu gross, und so geht’s ohne Bier ostwärts über die fast leere Autopista Nacional A 1, ein mit jeweils vier breiten Fahrstreifen zu optimistisch ausgefallenes Projekt der 1970er Jahre. Die A 1 sollte die einspurige Carretera Central ersetzen, die von 1927 bis 1932 quer durch die Insel gebaut worden war. Doch Ende der 1970er Jahre war für die A 1 in der Mitte Kubas Schluss. Dort müssen wir dann später auf die alte Carretera Central ausweichen.
Kubaner sind geborene Autonarren. 1958, ein Jahr vor dem Sieg der Revolution, gab es auf der Insel 24 Autos pro 1000 Einwohner, mehr als sonst wo in Lateinamerika und viermal mehr als in Spanien. Von jenen Pontiacs, Studebakers, Chevrolets, Buicks, Dodges und Plymouths fahren noch immer geschätzt 60 000. Chinos Auto ist ein 1947er Cadillac, ursprünglich war es ein Krankenwagen. Und ein Familienerbstück. Sein Grossvater habe ihn 1948 gekauft und zu einem Taxi umgebaut, sein Vater habe damit Milch ausgeliefert. Drei Sitzreihen bieten acht Passagieren Platz, plus Fahrer und Beifahrer. Jetzt pflügt der Cadillac einsam über die fast leere A 1.
Im Cockpit ist vieles improvisiert: Eine Grippzange ersetzt die Fensterkurbel, und die Anzeigen im Armaturenbrett wurden abgeklemmt, als er die Elektrik von 6 auf 12 Volt umstellte. «Da wäre mir alles durchgeschmort.» Auch so fühle er, dass der zehn Jahre alte Perkins-Motor den Wagen gerade auf 95 Kilometer pro Stunde beschleunige. 120 PS habe der, «mit Turbo!». Die abgeklemmte Uhr steht auf 5 vor 3, der Kilometerzähler auf null. Über eine Million Kilometer seien es. Der Boden ist durch eingeschweisste Stahlplatten erneuert, den Schaltknüppel ziert ein Bild der Barmherzigen Jungfrau von Cobre, Kubas bedeutendstem Wallfahrtsort nahe Santiago.
An der Autobahn wird Nutella aus Miami verkauft
Zum Frühstück gibt es an einem kleinen Trailer am Strassenrand Bocaditos, Brötchen mit Schweinefleisch und grünen Tomaten für 270 Pesos, dazu einen Refresco-Softdrink für 80 Pesos. Bei einem Schwarzmarktkurs von 150 Pesos sind das knapp 2,5 Dollar. Das Brötchen ist so reichhaltig mit Fleisch belegt, dass die Hälfte auf den Boden fällt und von einer Hühnerschar aufgepickt wird. Daneben wird auf einem Klapptisch verkauft, was es selbst in Havannas Supermärkten nicht gibt: Nutella, Milch, Kekse, Shampoo und Putzmittel, die in mit «Thank you» beschriftete Plastiktüten verpackt werden. Seit der Lockerung der Reisebeschränkungen holen manche Kubaner mehrfach im Monat Koffer voll Ware aus Miami.
Auch Autoteile: Vor der Brötchenbude wird ein GAZ-24 Wolga der Gorkier Automobilwerke bestaunt, einst die Edellimousine der Sowjetunion. Die Frontscheinwerfer mit dem Totenschädelmotiv, das in verschiedenen Farben blinkt, habe er aus Miami bekommen, 50 Dollar das Stück, erzählt der stolze Besitzer. Anfang der 1960er Jahre hatten die USA als Reaktion auf die Enteignung von US-Besitz durch den Revolutionsführer Fidel Castro ein Embargo verhängt. Das Aus auch für den Import amerikanischer Autos. So schickte die Sowjetunion, der neue Financier der Revolution, ihre Moskwitschs, Wolgas und Ladas. Letztgenannte gelten als ideale Autos der einfachen Kubaner, leicht zu reparieren. Die Ersatzteile kommen aus Miami.
Weiter geht es durch die Provinz Mayabeque, die fruchtbarsten Böden Kubas, so Chino. Nur an modernen Maschinen und Dünger mangle es. Am Strassenrand stehen alte Traktoren, auf den Feldern wird per Hand gearbeitet. Die Ernte müssen die Bauern zu festgesetzten Preisen an den Staat abgeben, der sie an die Bevölkerung verteilt. Da viele Bauern lieber auf dem Schwarzmarkt verkaufen, fehlt es derzeit bei den staatlichen Lebensmittelausgaben an Reis, Kaffee, Hühnchen und vielem anderen.
Unterwegs auf leeren Autobahnen. Kuba leidet derzeit unter einem Mangel an Treibstoff.
So will Chino Lebensmittel in Santiago kaufen. Zigarren hat er genug dabei, eine Tüte mit etwa zwanzig Stück. Fidel habe Cohibas geraucht, Che Guevara auch, denn nirgends gebe es besseren Boden für Tabak als in Kuba! «Fidel ist unser aller Vater, er lebt in uns weiter. Schreib das!» Die Rastplätze mit Tankstellen sind abgesperrt,
es gibt kein Benzin. Das liege an dem Embargo. «Die Amerikaner sind böse Menschen. Aber ihre Autos sind toll.» Der Cadillac brummt zustimmend.
Links und rechts stehen verdorrte Bäume, eine Plage hat Kubas Zitrusfrüchten zugesetzt. Wild hupend und winkend braust Chino an einer Gestalt auf dem Mittelstreifen vorbei. «Das ist der Eierverkäufer. Weiter vorne kommt gleich der Mann mit dem Käse.» Die A 1 ist Chinos Revier, mehrmals im Monat fährt er Touristen über sie nach Cienfuegos, Trinidad oder Santa Clara, wo Che Guevaras 1997 in Bolivien ausgegrabene Überreste in einem Mausoleum ruhen.
Bei Kilometer 141 geht rechts die Strasse nach Playa Girón ab, der Schweinebucht, wo im April 1961 von der CIA ausgebildete Exilkubaner landeten. Fidel persönlich befehligte den Gegenschlag. Seine Revolution war damals bedroht, auf dem Malecón in Havanna standen Flag-Geschütze. Auch am Rande der A 1 liegen Strassensperren aus Beton und Metall, mit denen man die Autobahn sperren kann, um die Landung amerikanischer Flugzeuge zu verhindern.
Statt Yankees sind derzeit Pferdekutschen und qualmende Traktoren hier unterwegs, am Strassenrand grasen magere Ziegen vor Zuckerrohrfeldern. Arbeiter in ihrer ledernen Schutzkleidung, die vor den messerscharfen Zuckerrohrblättern schützen soll, übergiessen sich mit Wasser. Die Sonne brennt gnadenlos.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten die Amerikaner die kubanische Zuckerindustrie zur effizientesten der Welt ausgebaut. Dann hatte Fidel sie enteignet. Das weisse Gold, für den Revolutionär der «Motor der Entwicklung», sollte nun die sowjetischen Erdölimporte bezahlen. 1970 rief Fidel die Gran Zafra aus, die «grosse Zuckerernte»: 100 000 Soldaten und 1,2 Millionen zum Ernteeinsatz verdonnerte Zivilisten sollten 10 Millionen Tonnen Zucker produzieren. Es wurden 8,5 Millionen Tonnen, aber die Fixierung auf die Rekordernte stürzte die Wirtschaft in die Krise. Die alten Zuckerfabriken sind längst marode, so dass die letzte Zuckerernte bei weniger als 500 000 Tonnen lag. Jüngst musste die Regierung Zucker importieren.