In 7,25 Metern Höhe befinden sich die schlangenverzierten Ringe, durch die die Spieler den bis zu vier Kilogramm schweren Kautschuk-ball befördern mussten. Angeblich durfte der Ball von den Spielern nur mit dem Ellenbogen, der Hüfte oder dem Gesäß geprellt werden. Bei der Berührung anderer Körperteile gab es Strafpunkte. Beide Spiel-parteien bemühten sich, den Ball nicht zum Stillstand kommen zu lassen. Gute Spieler schafften es, diesen Ball sogar eine ganze Stunde lang im Spiel zu halten, ohne dass er dabei den Boden berührte. Eine unglaubliche Vorstellung und Leistung, wenn man bedenkt, dass einige Spieler während des Spieles verstarben. Sei es durch die Ermattung die entstand, wenn die Spieler ohne Pause dem Ball hinterher jagten oder aber, wenn der Ball sie mit voller Wucht an den ungeschützten Körper-teilen traf. Dies geschah, wenn der Spieler dem Ball entgegen sprang und dabei am Unterleib oder dem Magenausgang getroffen wurde.
Ein besonderer Trick der Spieler war es, sobald sie den Ball in der Luft ankommen sahen, ihre Knie oder das Gesäß so in Position zu bringen, das sie den mit hoher Geschwindigkeit ankommenden Ball schon in der Luft zurückspielten. Allerdings erlitten sie dabei sehr oft so schwere Blutergüsse an den Knien oder Hüften, dass diese mit einer Obsidian-klinge aufgeschnitten werden mussten.
Die Frage, ob nun die Siegermannschaft, die Verlierermannschaft oder nur der Mannschaftsführer geopfert wurde, erregt seit Jahren die Ge-müter der Mayaforscher. Aber immer mehr Forscher gehen davon aus, dass die Siegermannschaft geopfert wurde, um ihnen den Zugang zum Pantheon (allen Göttern geweihtes Heiligtum) zu öffnen und sie damit die Ehre erhielten, selbst zu Göttern zu werden.
Am Ballspielplatz befinden sich auch der „Tempel des Jaguars“ und der „Tempel des bärtigen Mannes“. Wir gingen nach Süden und be-sichtigten eine Cenote, die im Süden der Anlage gelegen ist und heute etwa 55 Meter im Durchmesser und etwa 50 Meter in der Tiefe misst. Vom Rand bis zur Wasseroberfläche sind es nur etwa 20 Meter.
In den Jahren 1904 bis 1907 erfolgte die Erforschung des „heiligen Brunnens“.
Das gesamte Gelände rings um die Ruinenstadt wurde übrigens von einem Hobbyarchäologen für nur 75 US-Dollar aufgekauft. Aus dieser Cenote, dem heiligen Brunnen, förderte man Jade, Gold, Keramik und etwa 50 menschliche Skelette an die Oberfläche. Damit wurde die Bedeutung der Cenote als Opferstätte für den Regengott „Chaac“ unterstrichen.
Die Sonne prasselte unaufhörlich hernieder. Es war kaum auszuhalten.
Nach einer kleinen Getränkepause an einem Kiosk bewegten wir uns zur Hauptattraktion des gesamten Areals, der Pyramide „El Castillo“.
Das Castillo, auch Kukulkánpyramide genannt, ist 30 Meter hoch und beherrscht Chichén Itzá. Die Pyramide hat an jeder ihrer vier Seiten Treppen, die früher einander genau glichen. Heute sind zwei der Treppen wieder restauriert und die anderen Zwei in ihrem ursprüng-lichen Zustand belassen worden. Wir bestiegen vorsichtig das imposante Bauwerk mit den steilen Treppen, die es in sich hatten. Jede Treppe zählt genau 91 Stufen. Dies sind zusammengerechnet also 364 Stufen. Dazu kommt eine Stufe am Eingang des Heiligtums, was insgesamt eine Zahl von 365 ergibt und der Zahl der Tage des Sonnenjahrs entspricht. Der Aufstieg war äußerst anstrengend und nicht ganz ungefährlich.
Der Ausblick, nachdem sich unser Puls wieder beruhigt hatte, belohnte uns mit einem wahrlich unbeschreiblich schönen Panorama und ein fantastischer Blick über die historische Stätte eröffnete sich. Arnulf, der lieber unten auf uns wartete, erschien als kleiner Punkt auf dem riesigen Platz vor der Pyramide. Im Tempelaufbau piepsten in hoch-frequenten Tönen Fledermäuse, die sich eingenistet hatten und sich durch die Besucher nicht stören ließen.
Die steilen Treppen wirkten von oben wie eine glatte Fläche und es war gar nicht so einfach wieder nach unten zu gelangen. Dies war nur möglich, wenn man rückwärts auf allen Vieren nach unten kletterte.
Unten angekommen, flatterten die Knie, die jedoch nicht gleich zur Ruhe kommen sollten.
Da es in Mesoamerika (also auch bei den Mayas) üblich war, die Pyramiden nach einer gewissen Zeit (oft nach 52 Jahren) zu überbauen, fand man auch unter dem Castillo eine ältere Pyramide. Es war sogar möglich, diese zu besteigen. Man hat einen Gang an der rechten Seite der Nordtreppe gegraben, der an der früheren Außenseite der inneren Pyramide entlangführt.
Vorsichtig kletterten Arnulf, Rudolf und ich die Treppen, die aufgrund fehlender Lüftung und wegen der niedergeschlagenen Atemluft der vielen Touristen sehr glitschig waren, hinauf. Die Luft war so stickig, dass es uns schlecht wurde und wir schon umkehren wollten, es aber dann irgendwie doch schafften, auf die Spitze der inneren Pyramide zu gelangen.
Nach 57 Stufen oben angekommen, erwartete uns eine mit einem Metallgitter verschlossene Kammer, die jedoch beleuchtet war und eine Statue birgt. Der rot bemalte Jaguar-Thron mit 80 großen, grünen Jade-scheiben, die die Flecken im Fell darstellen, hatte Augen aus Malachit und war mit echten Zähnen bestückt. Als wir wieder Tageslicht sahen, waren wir froh, wieder frische Luft atmen zu können und widmeten uns dem nächsten beeindruckenden Detail der Pyramide, welches erst 1972 entdeckt wurde. Es ist das Schattenspiel der gefiederten Schlange.
Das Äquinoktium (Tag- und Nacht-Gleiche) ist der Augenblick, in dem die Sonne zweimal im Jahr den Himmelsäquator kreuzt und dadurch bewirkt, dass in der ganzen Welt Tag und Nacht die gleiche Dauer haben. Die Technik der Pyramide ist so exakt, dass bei Eintritt der Äquinoktien sieben Lichtdreiecke auf die nördliche Treppe fallen.
Wenn diese dann mit dem Schlangenkopf an der Basis zusammen-treffen, gewinnt man den Eindruck, als ob die Schlange vom Himmel fiele, an der Treppe hinuntergleite und ihr Schatten den Platz über-quere.
Die Lichtschlange verkörpert den Tag, das aufgehende Licht, das weise und heilige Menschen erschafft. Die Schattenschlange hingegen be-deutet die Nacht, die Finsternis, die den Menschen ins Verderben stürzt.
Dieses Licht- und Schattenphänomen ist an besagten Tagen, also am 21. März und am 22. September optimal in der Zeit zwischen 16 und 17 Uhr zu beobachten.
Nachdem wir uns alle wieder am und im Bus versammelt hatten, fuhren wir nach „Mérida“, der reizvollen kolonialen Hauptstadt Yucatáns. Mérida liegt im Nordwesten der Yucatán-Halbinsel, zirka 40 Kilometer von der Golfküste entfernt und ist angesichts seiner sauberen Straßen, der Farbe seiner Häuser und der Kleidung der Einwohner als die "Weiße Stadt" bekannt. Im Hotel „Los Aluxes“ wurden vom Reiseleiter unsere Namen ausgerufen und wir bekamen die Zimmer zugewiesen, wobei Anne und ich kein kleines einfaches Zimmer hatten, sondern zweifelsfrei die Juniorsuite mit riesigen Ausmaßen und einer großen Dachterrasse.
Am Abend blieb Anne aufgrund ihrer Kopfschmerzen im Hotel, während wir Fünf es uns in einem wohl klimatisierten Hinterzimmer einer Gaststätte, die einen wunderschön grünen Hof hatte, gemütlich machten. Auch hier wurden wieder Taccos, die jedoch mit einer milden und nichtscharfen Soße, und frische, noch warme Brötchen mit ge-salzener Butter, als Vorspeise gereicht. Ich bestellte mir ein klassisches Nationalgericht namens „Pollo Pibil“, ein köstliches Gericht aus in Bananenblätter gewickeltem Hühnerfleisch, welches normalerweise drei Stunden unter der Erde gegart wird. Die anderen Vier ließen sich einen einwandfrei angerichteten Knoblauchfisch munden. Zum Ab-schluss des Mahls und zur Verdauung gönnten wir uns einen pflichtgemäßen Tequila.
An einem Nachbartisch saß ein Asiat, der sich vom Kellner die vier-eckige Tequilaflasche, die vorher bei uns ausgeschenkt wurde, zeigen ließ. Vorsichtig roch der Asiat an der Flaschenöffnung und träufelte sich ein paar Tropfen des Getränks auf die Innenseite seiner Hand-fläche, um davon eine Geschmacksprobe machen zu können. Es schmeckte ihm sichtlich nicht, da er sein Gesicht krampfartig zusammenzog und die Flasche der Bedienung sowohl dankend als auch ablehnend zurückreichte. Auf unsere in Englisch gestellte Nach-frage woher er stamme, antwortete er, dass er aus Tokio käme. Wir erzählten ihm, dass wir aus Deutschland kommen und Arnulf verab-schiedete sich bei ihm mit „Sayonara“, worauf er zu unserer Ver-blüffung „Danke Schön“ erwiderte.
Angekommen im Hotel begaben sich Ina und Betti zur Nachtruhe, während wir Drei Herren uns noch je ein Tagesabschlussbier an einem Tisch der Hotelbar gönnten und uns für die bayerischen Landsleute am Nachbartisch schämten, die einen Aufstand wegen einer angeblich un-korrekten Rechnung machten und das Personal beleidigten.